Dienstag, 31. Oktober 2006

Weichzeichnungsverlust

Hält mich ein Exekutivwacheorgan nach Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit durch mein motorisiertes Individualverkehrszeug auf und fordert jenes mich auf, ihm Einblick in meinen Lenkerberechtigungsschein zu gewähren, so fällt der stirnrunzelnde Blick des strengen Prüfers unweigerlich auf folgenden Satz:

Beim Lenken von Kraftfahrzeugen ist eine die mangelnde Sehschärfe korrigierende Brille zu tragen. Eine Reservebrille ist mitzuführen.

Nun verhält es sich jedoch so, daß ich mich seit etwa 15 Jahre weigerte, eine derartige Korrekturmaßnahme zu tragen. Dies deshalb, weil ich mich einerseits für makellos halte, eine Korrektur wesentlicher Daseins-Merkmale meine Person betreffend daher mein Ego ankratzen würde, andererseits bin ich zugegebenermaßen ein eitler Fatzke, sodaß ich stets der völlig richtigen Auffassung war, eine Brille würde mir nicht zu Gesicht stehen.

Erstaunlicherweise dürften auch die zahlreichen mich bisher kontrolliert habenden Polizisten der Meinung gewesen sein, daß eine fehlende Brille nicht strafverschärfend zu wirken habe, denn deren Fehlen bzw. das zusätzliche Fehlen einer Ersatzbrille wurden bisher noch nie thematisiert, sodaß ich einmal sogar geneigt war, dem grimmig dreinsehenden Inspektor das Überschreiten der höchstzulässigen Geschwindigkeit damit plausibel zu machen, daß ich die Fahrzeuggeschwindigkeit mangels der nötigen Sehschärfe doch gar nicht am Tachometer ablesen könne.

Leider nahm der Grad der Kurzsichtigkeit meiner Augen in den letzten Jahren derart zu, daß ich auf Autobahnen die auf mich zurasenden Wegweiser nicht mehr rechtzeitig erblicken konnte, sodaß ich beim Zufahren auf Autobahnknoten stets die mittlere Spur wählte, um - ähnlich dem Tormann beim Elfmeter - das Lenkrad im letzten Moment in die jeweils als richtig vermutete Richtung zu reissen. Eine Methode, der immerhin eine 85%-Trefferquote beschienen war, Tendenz abnehmend.

Ich sah ich mich also veranlaßt, mich zum Augenarzt schicken zu lassen, welcher sich meines Problems umgehend annahm, nicht ohne mir zuvor noch eine Moralpredigt zu halten, wie unverantwortlich es doch sei, bei der vorliegenden Dioptriezahl keine Brille getragen zu haben. Ich ließ die besagte Moralpredigt beim linken Ohr einsickern und beim rechten Ohr wieder hinausdiffundieren ohne den dazwischenliegenden informationsabsorbierenden Filter aktiviert zu haben (bei Moralpredigten steige ich meistens aus) und machte mich auf den Weg zum Optiker meines Vertrauens, welcher mir deshalb als Optiker meines Vertrauens erschien, weil er mir spontan als einziger Optiker einfiel, den ich aus der Fernsehwerbung kannte. Jener verpaßte mir nach einstündigem Probieren zahlloser Brillenfassungen eine Brille, die gar keine Fassung hat und schließlich war es soweit - ich durfte das gute Stück abholen und aufsetzen.

Was ich sodann im Spiegel erblickte, schockierte mich jedoch zutiefst. Jede Pore meines Gesichtes war als detailliert modellierte 3D-Skulptur zu sehen. Jedes kleinste Pickel, jedes Barthaar, das nicht da sein sollte wo es war. Sollten die Leute um mich herum mich tatsächlich als das Monster wahrnehmen, das mich soeben aus dem Spiegel anstarrte?

Was ich sah entsprach ungefähr dem, was sich ergibt, wenn man ein Foto bearbeitend und dazu Photoshop zu Hilfe nehmend die Kontraste erhöht und die Schärfe auf 100% stellt, während die Abnahme der Brille die Wirkung eines Weichzeichners schlechter Hamilton-Filme und der Inanspruchnahme des Anti-Verrauschungs-Filters hat. Langsam, ganz langsam, beginne ich Hamilton zu lieben.

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Stimmt, ...
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sokrates2005 - 12. Januar, 15:38

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